Bei aller Freude über neue Arbeit übersehen wir leicht, dass ihr Erfolg auf zwei Spannungen beruht.
Bei aller Freude über neue Arbeit übersehen wir leicht, dass ihr Erfolg auf zwei Spannungen beruht.
New Work ist der Versuch, gut zu arbeiten in der Welt von heute. Er umfasst damit drei Dinge:
(1) Gut zu arbeiten bedeutet, das Wohl der Menschen ins Zentrum der Arbeit zu stellen, vor allem die Bedürfnisse nach Teilhabe, Selbstbestimmung und Sinnhaftigkeit.
(2) Zugleich bestimmen neue Sachzwänge unsere Arbeitswelt: kürzere Innovationszyklen, rascher veraltendes Wissen und die gestiegene Komplexität von Technik, Planung und Zusammenarbeit.
(3) Und da wir meist keine allgemein erprobten Lösungen für die neuen Herausforderungen haben, beginnt New Work gewöhnlich als eine offene Suchbewegung.
Erste Spannung: Markt und Menschlichkeit
Neue Arbeit verzichtet auf die Sicherheit von etablierten Arbeitsweisen und setzt sich spielfreudig für deren Veränderung ein. Diese Umstellung ist ebenso wenig Luxus wie ihre Spielfreude, da sie gezielt auf neue Erfordernisse reagiert. Sie dynamisiert die Strukturen der Arbeit, um diese der Dynamik des Marktes anzupassen. Das Alte erliegt der Langsamkeit seines Ernstes.
Die Werte, die diese Umstellung schafft, sollen neben wirtschaftlichen stets auch menschliche und zunehmend auch ökologische sein. Im Rahmen dieser Wertschöpfung und der Methoden, die sie tragen, zielt neue Arbeit auf ein Zusammenspiel bislang oft gegenläufiger Bereiche. Hierbei entsteht ihre erste, wenngleich nur scheinbare Spannung:
Das Ziel, in einer ungewissen und stark beschleunigten Welt unternehmerisch Erfolg zu haben, wird verbunden mit Erkenntnissen der Psychologie1 und den Selbstverwirklichungsbedürfnissen der neuen Generationen. Markterfolg und Menschlichkeit sollen einander fördern. New Work ist die Wette auf dieses Zusammenspiel. Ein typisches Beispiel ist das Bemühen um Vielfalt und Inklusion am Arbeitsplatz: Diversität ermöglicht einerseits die wertschätzende Teilhabe und persönliche Entfaltung aller Beschäftigten und erschließt andererseits wertvolle Quellen für Innovation, fördert berufsrelevante Weiterentwicklung und differenziert Netzwerke aus.
Kritiker lösen diese Spannung mitunter zugunsten der wirtschaftlichen Wertschöpfung auf, als deren bloßes Mittel sie die neuen, menschzentrierten Arbeitsweisen entlarven wollen: Letztlich gehe es nur um ein schnelleres Hamsterrad. Dabei unterschätzen sie die Kraft, die gerade die Gleichstellung von unternehmerischen und menschlichen Zielen entwickeln kann – nicht zuletzt, weil sie verkennen, was Menschen wirklich motiviert.
Die Kompetenzen, auf die es heute ankommt – Kreativität, Lernbereitschaft, Unternehmergeist, flexible Zusammenarbeit – erfordern intrinsische Motivation. Diese lässt sich nicht auf gleiche Weise steigern wie extrinsische. Sie gedeiht in einem Umfeld, in welchem wir einander nicht nur als Mittel, sondern stets auch als Zweck behandeln und dafür bewusst Entfaltungsräume schaffen. Echte, also mitdenkende Verantwortung lässt sich nicht mithilfe allein äußerer Anreize übertragen. Sie muss von selbst ergriffen werden.
Zweite Spannung: Freiheit und Notwendigkeit
Der neue Status Quo der Arbeitswelt besteht in Veränderung. Mehr denn je müssen wir Neues erschließen, Ambivalenzen austragen und Grenzen überwinden: individuelle wie unternehmerische und oft auch solche, die uns zunächst ganz unbekannt waren. Dafür brauchen wir Verhaltensweisen und Strukturen, die so dynamisch sind wie die Umwelt, auf die sie reagieren. Hierbei entsteht eine zweite, in diesem Fall tatsächliche Spannung.
Was in all dem Wandel beständig bleibt, das ist der Mensch. Wir sitzen mit derselben genetischen Grundausstattung an unseren Bildschirmen, mit der wir einst in den Höhlen gesessen haben. Wir sind Steinzeittiere und entkommen unserer Ahnenreihe nicht, auch nicht durch Digitalisierung. Das bedeutet neben anderem, dass wir ebenso wenig multitasken können wie unsere Vorfahren2; dass der Stress, den wir am Arbeitplatz erleben, dem ähnelt, schutzlos einem Löwen zu begegnen; dass wir in Meetings streiten und handeln wie ein Trupp beim Bau einer Mammutfalle. Auch mit den neuesten Geräten bleiben wir die Alten.
Andererseits können wir uns als Einzelne verändern. Wir können individuell die Spielräume erschließen, die uns die Evolution gelassen hat. Bedingung dieser Freiheit ist allerdings die Einsicht in Notwendigkeiten, insbesondere in jene, die durch die Gegebenheiten unserer Natur bestehen. Dass man die Geschichte wiederholt, wenn man sie ignoriert, gilt auch für unsere Naturgeschichte. Wer zum Beispiel nicht weiß, wie unsere Gehirne auf Unbestimmtheit reagieren, braucht sich keine großen Hoffnung zu machen auf gelingende Kommunikation und flexible Orientierung in der VUCA-Welt. Dies zeigt sich im Kleinen schon daran, dass wir eine so unscheinbare Frage wie: „Warum hast du das gemacht?“ nicht stellen sollten, wenn uns an einer konstruktiven Antwort liegt.
Die zwei Spannungen in der Praxis
Schauen wir uns dazu zwei Beispiele an. (1) Die für New Work typische Umstellung von festen Hierarchien auf dynamische, partizipative Führung kommt einerseits unserem Bedürfnis nach Mitbestimmung entgegen und verteilt andererseits Verantwortung flexibel da, wo das beste Match aus Kompetenz und konkreter Aufgabe besteht (=erste, nur scheinbare Spannung). Einerseits tendieren wir als Gruppen zur Ausbildung von festen Hierarchien3, andererseits ermöglicht ein methodisches Verflüssigen von Führung größere Freiheit im Umgang mit beständig wechselnden Herausforderungen (=zweite, tatsächliche Spannung). // Stichwörter: kollegiale Führung, erhöhte Eigenverantwortung und Ownership, indirekte Führung, Aushandlung von Verantwortlichkeiten, Holokratie
(2) Das Umschalten vom Experten- zum Lern-Mindset kann sowohl die lernende Organisation unterstützen, als auch, im Wechselspiel, das persönliche Wachstum und Wohlbefinden der Einzelnen (=erste, nur scheinbare Spannung). Dieses Umschalten kommt einerseits unserem Statusdenken in die Quere – wir sind nicht etwas, sondern werden es stets durch unser Handeln -, kann andererseits aber ausgeglichen werden durch eine gesteigerte Anerkennung von Weiterentwicklungskompetenzen (=zweite, tatsächliche Spannung). // Stichwörter: Growth Mindset, Fehlerkultur, Weiterentwicklung
Diese Spannungen lassen sich leicht auch in den anderen Dynamiken von New Work nachvollziehen. Zu diesen Dynamiken gehören:
● die Ausrichtung der Arbeit an unseren Bedürfnissen und Leistungsgrenzen, insbesondere im Umgang mit digitaler Technologie // Stichwörter: Smart Work, Work-Life-Integration, Gesundheitsmanagement und Arbeitsplatzgestaltung;
● die Förderung von Lern-, Filter-, Ungewissheits-, Netzwerk- und allgemeinen Kommunikations- und Kooperationskompetenzen;
● der gemeinsame Aufbau sowie die unternehmensweite Pflege einer wertebasierten, feedbackintensiven Arbeitskultur // Stichwörter: psychologische Sicherheit, Wertschätzung, Transparenz, Vertrauen, Feedback-Kultur und Ökologie;
● die Anerkennung, Förderung und Aktivierung von Vielfalt // Stichwörter: Diversity, Individualität und Kreativität;
● und die Einnahme eines iterativen, explorativen und teils spielerischen Mindsets sowie der Aufbau entsprechender Strukturen auf Team- und Unternehmensebene // Stichwörter: Design Thinking, Improv und Playfulness.
Zusammengefasst
New Work ist von zwei Spannungen bestimmt. Die erste: Wirtschaftlicher Erfolg und das Wohl der Mitarbeitenden sind gleichrangige Ziele, die einander stärken und ergänzen. Die zweite: Neue Arbeit entfaltet unsere Potenziale, indem sie unsere Begrenzungen anerkennt.
Indem wir diese Spannungen als produktiv begreifen und systematisch nutzen, können wir unsere Arbeit auf eine Weise gestalten, die im letzten Jahrtausend noch als utopisch erschien.
1 Die entscheidenden Impulse kommen dabei insbesondere aus der positiven, der kognitiven und der Sozialpsychologie. Es ist kein Zufall, dass zwei Wirtschaftsnobelpreise zuletzt an Psychologen gegangen sind.
2 Es ist bezeichnend, dass die Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen, erst in den letzten Jahrzehnten als etwas Wertvolles angesehen wurde. Die Kulturgeschichte der Arbeit kannte Multitasking, wenn überhaupt, bis vor Kurzem nur als Laster. Diese Diskrepanz bezeichnet allerdings keine Entdeckung, sondern eine Verkennung, die oft auch unserem Wunsch entspricht, so zu sein wie Maschinen, aus deren Sphäre der Begriff Multitasking stammt.
3 Feste Hierarchien dienen einerseits dazu, in einer stabilen (=vorhersehbaren) Umwelt die Transaktionskosten zu senken: alle Beteiligten wissen ohne aufwändige Abstimmungsverfahren, was sie zu tun haben. Andererseits erzeugen feste Hierarchien auch das beruhigende, oft freilich trügerische Gefühl, die Umwelt wäre stabil und kontrolliert.