Bits

Angst ist nur ein Irrtum, der den Herzschlag erhöht.

Wie schlimm es auch kommt – einer wird es gewusst haben und sich freuen.

Die Seele ist das Bewusstsein unserer Möglichkeiten, vor allem der verpassten.

Der Aphorismus ist Größenwahn in seiner kleinsten Form.

Bücher sind wie Pferde, auf denen wir ohne Zügel sitzen und im Vertrauen, sie wüssten den Weg.

Dass die Schafe noch leben, macht Hoffnung für die Menschen.

Schnee

Denken ist ein leichtes Sinken, das Dinge sichtbar macht und unsichtbar zugleich.

Siena, Souvenir

Was ist ein gefesselter Italiener?
Stumm.

Ein Freund ist jemand, dem nichts dazwischen kam, sich an uns zu gewöhnen.

Vielleicht besteht die Macht der Pose darin, dass sich kein Vorher oder Nachher zu ihr denken lässt. Sie ist seltsam massiv, zumal in der Werbung. Selbst als Bewegung sieht sie mehr wie ein Stillleben aus. Aber wie macht sie das? Wie fällt der Augenblick, den das Foto doch zeigt, derart aus der Zeit? – Der Unterschied scheint nicht im Posieren selbst zu liegen:

Pose

Links: Dorothea Lange Migrant Mother: nicht posierend, aber massiv. Rechts: Alice Chase Self-Portrait: posierend, aber nicht massiv.

Dorothea Lange Migrant Mother: nicht posierend, aber massiv.

Alice Chase Self-Portrait: posierend, aber nicht massiv.

Auch die Zukunft liegt hinter uns. Doch ist sie schneller und holt uns ein.

Das Märchen an Dornröschen ist der Prinz.

Gesetzt, wir müssten, statt Abstand zu halten, Nähe suchen, um uns nicht anzustecken. Wäre unser Ernst der gleiche? Würden wir empört verlangen, sich gefälligst zu uns herüberzusetzen?

Sappho, Gedichtfragment

Bescheidenheit. In einer langen, an Fach- und Fremdwörtern reichen E-Mail alles richtig zu schreiben bis auf den eigenen Namen.

Das Thema wurde schon abgegrast. – Ja, aber nur von Schafen.

Denkmodell. Kleidung abwärts zu straffen wirkt schick; aufwärts, wie beim Hosehochziehen, plump. Das Betrachten der Nägel vom Handrücken aus wirkt kultiviert; von der Handfläche her, mit gekrümmten Fingern, unreinlich.

Verschwörungstheorie ist Utopie und tröstlich. Als wären Menschen fähig, ein so großes Unternehmen geheim zu halten und nur ein Zipfelchen Verdacht zurück zu lassen, den aufzugreifen wirken muss wie Verschwörungstheorie.

Ein riesiger, brundiger Mann mit schwerem Bart und einem Hund, so klein, als solle er sein weiches Herz bedeuten

Der Unwille, zu kommunizieren, ist die Quelle aller Gewalt, auch sich selbst gegenüber.

Das eigentliche Virus: ständig darüber zu reden.

Berlin im Winter.

Grau kann dunkler sein als schwarz.

„Wallah, c’est la vie, Digga.“

Dreisprachigkeit / U-Bahn Neukölln

Selbsthasslust. Deutsches Theater, Der Menschenfeind. Den größten Beifall bekommt ein Satz von Alceste: „Wir Menschen gelten als vernünftige Wesen. Wer das behauptet, ist nie Mensch gewesen“. – Wir freuen uns, zu wissen, wie schlecht wir sind, im Sessel zwischen zwei Wein.

„Ich bin fertig.“

Seltsam, dass wir so reden. Wir starten weniger mit dem Impuls nach vorn, als mit der Sicherheit, das Bügeleisen ausgeschaltet zu haben.

Man dürfte Gott als eine Person definieren, die keine Einfälle haben kann.

Als Welttapete nebelt Regen,
schrägt oben hängt ein kranker Mond,
das Laub verfault auf nassen Wegen,
kurz: Es novembert wie gewohnt.

 

Man hustet in den trocknen Kammern
und geht verlegen früh zu Bett,
um tief im Kissenknick zu jammern,
wie gern man Zyankali hätt.

 

Die Müden fallen von den Brücken,
die Seele wird zum Rattenloch.
Wer kürzlich hinkte, geht an Krücken;
wer gerne lebte, lebt er noch?

Rauchen ist eine doppelte Entlastung:

die vom Handeln und die vom Zwang, vernünftig zu sein.

“Inquiry is fatal to certainty.”
Will Durant


“Certainty is fatal to inquiry.”
A cognitive psychologist

Du läufst über eine Brücke. Schaust du den Fluss hinauf oder hinab? – Das kommt darauf an. Bei Bächen aufwärts, bei Strömen abwärts, glaube ich.

Das ist nur eine Metapher. – Wieso „nur“?

Bellinis Doge. Offenbar sind manche Gemälde fotogen. Dabei ist das Spiel mit den Gesichtshälften – die linke streng, die rechte milde – rein malerisch. 

Die Katze zwischen Zaun und Wiese läuft tiefer, als sie mich sieht. Putzig, denke ich: Sie ist grauweiß und fiele als Schlange noch auf. Doch dann hockt sie ab und schaut her mit diesem langen, starren Katzenwarten, bis ich glaube, unheimlich zu sein.

Unter den Linden, an der Ampel. Drei Autos hinter mir hat einer die Tür aufgerissen und ein Rad erwischt. Sie stützt sich ohne Hilfe hoch. Er schaut nach vorn, die Überraschung weggedrückt durch die Sicherheit, die ihm die Einheit aus Innenraum und Fahrer gibt.

Falschparker Auto Brand

Berlin, womöglich Falschparkerbestrafung. Das Kennzeichen beginnt mit „EU“.

Europawahl. Die mitfühlende Güte, mit der die Kandidatin herabschaut vom Plakat, grenzt an Wahlbetrug.

wenn du, berlin, nicht regnen kannst
und dieses schlampige geschauer
und diese handvoll gnadenschnee
nicht niedergehen
in deine winde,
bist du nicht preußisch, grau und du.
man müsste
nach oben entkommen
oder wärmer mit jemandem sein.
aber wir
hängen nur
halb aneinander,
schon ganz diese stadt,
und tun uns beim anlehnen weh.

Aus den Nullerjahren. Monogamie ist die Flatrate zu nur einer Internet-Seite.

Meine Nachbarin ist alt. Ich sehe sie nie. Manchmal glaube ich sie zu hören, so wie man plötzliche Stille bemerkt. Vor ihrer Tür liegt immer die Tageszeitung, wie um den Anschein zu wahren.